Die unterschätzte Macht des Nein-Sagens oder Was die Weimarer Republik über den Schutz unserer Demokratie verrät
Bericht zur Online-Lesung mit Barbara Müller
Am 28. August 2025 lud der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) zur Online-Lesung und Diskussion zu „Kämpferische Demokratie – Was heißt das heute?“ mit der Autorin Barbara Müller ein. Anlass war ihr aktuelles Buch „Kämpferische Demokratie: Militärische Besetzung und gewaltlose Befreiung des Ruhrgebiets 1923–1925“.
Demokratie verteidigen – Lehren aus der Weimarer Republik
Müller machte deutlich: Der Untergang der Weimarer Republik war nicht zwangsläufig. In ihren ersten Jahren bewies sie eine ungeheure Widerstandskraft – getragen von Pragmatismus, dem sprichwörtlichen „Stehaufmännchen/-frauchen“-Prinzip und einer gemeinsamen Vision. Symbolhaft stand dafür das schwarz-rot-goldene Bändchen, das Bürger*innen als demokratisches Erkennungszeichen trugen. Die Frage, die in der anschließenden Diskussion zum Vorschein kam, laute heute: Welches verbindende Symbol können Demokrat*innen unserer Zeit finden?
Der Ruhrkampf: Gewaltfreier Widerstand in Aktion
Besonders eindrücklich stellte Müller den Ruhrkampf von 1923 dar. Gegen die Besetzung durch französische und belgische Truppen formierte sich ein weitgehend gewaltfreier, spontaner Massenwiderstand:
- Nicht-Zusammenarbeit und Streiks lähmten die Besatzer.
- Gewerkschaften spielten eine Schlüsselrolle, indem sie zum „Nein“ als Haltung ermutigten.
- Der Widerstand blieb flexibel, variierte seine Methoden und wurde von einer zähen Diplomatie ergänzt.
Diese Kombination aus zivilem Widerstand und diplomatischem Geschick führte schließlich dazu, dass Deutschland als demokratischer Verhandlungspartner anerkannt wurde – und das besetzte Ruhrgebiet nach zwei Jahren befreit werden konnte.
Müllers Fazit: „Widerstand ist noch keine Politik, sondern Grundlage von Politik.“ Gewaltfreie Aktionen können Wege öffnen, wo militärische Logik in Sackgassen führt.
Parallelen zu heute: Friedenslogik und Sicherheit neu denken
Müller verband die historischen Erkenntnisse mit den aktuellen Herausforderungen:
- Friedenslogik und „Sicherheit neu denken“ seien keine utopischen Konzepte, sondern aus Erfahrung gewachsene Alternativen.
- Angesichts von Klimawandel, Aufrüstung und globalen Krisen gelte es, den Fokus zu verschieben: weg von militärischer Eskalation, hin zu gewaltfreier Resilienz.
- Das Wissen um kollektive Stärke müsse wiederbelebt werden – durch Gewerkschaften, soziale Bewegungen und basisnahe Gruppen.
Im Dialog mit den Teilnehmenden kristallisierten sich mehrere Antworten heraus:
- Eine gemeinsame Überlebensvision, die Menschen verbindet.
- Kontakt über gesellschaftliche Blasen hinweg – zuhören, im Gespräch bleiben, das Gemeinsame suchen.
- Verantwortung einfordern von Politik und Institutionen.
- Mut zur Sichtbarkeit – laut und sichtbar, aber auch still und zuhörend.
- Die Angst verlieren, sich lächerlich zu machen – gewaltfreie Aktion lebt von Präsenz, Offenheit und Beharrlichkeit.
Relevanz für aktuelle Debatten
Die Lesung zeigte eindrucksvoll, wie historische Erfahrungen helfen können, sich heutigen Herausforderungen zu stellen. Besonders deutlich wurde die Aktualität, als Müller das aktuelle Zivilschutzkonzept der Bundesregierung ansprach: Dort wird ein Szenario einer militärischen Teilbesetzung Deutschlands als gegeben angenommen – doch die Frage, was Zivilist*innen im Falle einer Besatzung tun sollen, bleibt unbeantwortet. Für Müller ein klarer Auftrag: Der BSV sollte diesen Diskurs aktiv mitgestalten und soziale Verteidigung als dritte Option zwischen Kapitulation und Krieg bekannt machen.
Fazit
Die Veranstaltung hat gezeigt: Demokratieverteidigung ist keine abstrakte Aufgabe, sondern eine konkrete Haltung, die historisch wie heute durch zivilen Widerstand, gemeinsames Handeln und kreative Visionen getragen wird. Barbara Müller hat mit ihrem Buch und der Lesung ein kraftvolles Plädoyer dafür gehalten, dass es Alternativen zur militärischen Logik gibt – und dass wir sie dringend brauchen.
Gerne verweisen wir an dieser Stelle auf die Veranstaltung in Essen zum 100-jährigen Jubiläum der Geschehnisse am 22. September organisert u.a. von der Regionalgruppe Essen der Kampagne Wehrhaft ohne Waffen. Mehr Infos hier.