Zum Hauptinhalt springen

Ziviler Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Europa: 3 Beispiele, die bekannter sein sollten

Foto: Dänische Jüd*innen kommen am 6. Oktober 1943 in Schweden an, nachdem ihnen der dänische Widerstand aus dem Land geholfen hat. Eines der Ruder ist gebrochen. Autor unbekannt.

Der 8. Mai, der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, erinnert nicht nur an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, sondern mahnt uns auch, den vielfältigen Formen von Widerstand gegen das NS-Regime zu gedenken. Und zwar auch und insbesondere dem zivilen Widerstand in von Deutschland besetzten Ländern. Es waren nicht allein Armeen, die das NS-System zu Fall brachten, sondern auch unzählige Menschen der Zivilbevölkerung, die sich mit friedlichen Mitteln, trotz großer Gefahren, gegen Unrecht stellten. Beispiele wie der Februarstreik 1941 in den Niederlanden, der beeindruckende Lehrerprotest 1942 in Norwegen oder der breite zivile Ungehorsam in Dänemark 1943 zeigen, dass Menschen mit Zivilcourage, Solidarität und Entschlossenheit entscheidende Zeichen gegen Faschismus und Unterdrückung setzen konnten – und damit auch heute Vorbildcharakter haben.

Die Zusammenarbeit mit der militärischen Besatzung verweigern

Der Februarstreik 1941 in den Niederlanden war ein herausragendes Beispiel kollektiven zivilen Widerstands gegen die nationalsozialistische Besatzung – und zugleich ein öffentlicher Protest gegen die antisemitische Verfolgungspolitik in Europa. Nachdem es in Amsterdam zu Razzien und brutalen Übergriffen gegen die jüdische Bevölkerung gekommen war – darunter die Verhaftung von über 400 Jüd*innen und deren Deportation ins Konzentrationslager Buchenwald – reagierten kommunistische Gruppen mit dem Aufruf zum Generalstreik. Innerhalb kürzester Zeit legten rund 300.000 Menschen in Amsterdam und umliegenden Städten wie Haarlem, Hilversum und Utrecht die Arbeit nieder. Straßenbahnen fuhren nicht mehr, Betriebe standen still – ein eindrucksvolles Zeichen der Solidarität mit den verfolgten Jüd*innen. Die deutsche Besatzungsmacht reagierte brutal: Der Streik wurde innerhalb von zwei Tagen gewaltsam niedergeschlagen, mit Erschießungen, Verhaftungen und harten Repressalien. Dennoch bleibt der Februarstreik bis heute ein kraftvolles Symbol für zivilen Ungehorsam und das mutige Aufbegehren gegen staatlich organisierten Antisemitismus – und war der einzige Massenstreik in einem besetzten Land, der sich explizit gegen die Verfolgung der Jüd*innen richtete.

Im Jahr 1942 widersetzten sich in Norwegen rund 12.000 Lehrer*innen der Anordnung der Kollaborationsregierung unter Vidkun Quisling, der nationalsozialistische Ideologie in den Unterricht zu integrieren und sich einer neuen, regimetreuen Lehrergewerkschaft anzuschließen. Etwa 8.000 bis 10.000 Lehrer unterzeichneten ein Schreiben, in dem sie ihre Weigerung erklärten, was zu Massenverhaftungen führte: Über 1.000 Lehrer wurden festgenommen, viele von ihnen in Arbeitslager im Norden Norwegens deportiert. Trotz harter Bedingungen und Einschüchterungsversuchen hielten die meisten an ihrem Widerstand fest. Die breite Unterstützung durch Eltern und Schüler*innen, die heimlich Unterricht organisierten und Protestbriefe verfassten, zwang das Regime schließlich, seine Pläne aufzugeben und die Lehrer freizulassen. Diese kollektive, gewaltfreie Aktion bewahrte das norwegische Bildungssystem vor der Nazifizierung und gilt als bedeutendes Beispiel für zivilen Widerstand.

Dänemark zeigte vielfältige Formen des zivilen Widerstands: Ab 1943 zeigte sich der zivile Ungehorsam dort zunehmend durch Streiks, Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Besatzern und durch mutige Hilfe für Verfolgte. Besonders im Sommer 1943 legten Tausende Arbeiter in Kopenhagen und anderen Städten die Arbeit nieder, was die deutsche Besatzungsmacht erheblich unter Druck setzte. Gleichzeitig weigerten sich viele Dänen, den deutschen Behörden Informationen zu liefern oder mit ihnen zu kooperieren. Bemerkenswert war vor allem, dass ein Großteil seiner jüdischen Bevölkerung vor der Deportation gerettet wurde. Als die deutschen Besatzer begannen, dänische Jüd*innen zu verhaften, organisierten dänische Bürger*innen innerhalb weniger Wochen die Flucht von über 7.000 Juden nach Schweden, wohin sie in Fischerbooten geschmuggelt wurden.

Boot mit jüdischen Flüchtlingen auf dem Weg von Falster in Dänemark nach Ystad in Schweden
Boot mit jüdischen Flüchtlingen auf dem Weg von Falster in Dänemark nach Ystad in Schweden 1943; Quelle: Nationalmuseet – National Museum of Denmark from Denmark – CC BY-SA 2.0

Weitere Beispiele des zivilen Widerstands in Europa

Neben den mutigen Aktionen in Norwegen, Dänemark und den Niederlanden formierte sich auch in anderen besetzten Ländern ein beeindruckender ziviler Widerstand gegen das NS-Regime. Hier nur einige Beispiele. In Frankreich organisierten sich zahllose Bürger*innen in der Résistance: Sie verbreiteten geheime Zeitungen, halfen verfolgten Jüdinnen und Juden zur Flucht und sabotierten deutsche Infrastruktur – oft unter Lebensgefahr. In Italien leisteten nach dem Sturz Mussolinis 1943 zahlreiche Zivilistinnen und Partisanengruppen Widerstand gegen die deutsche Besetzung des Nordens; viele Frauen spielten dabei eine tragende Rolle, etwa als Kurierinnen, Versorgerinnen und Informantinnen. Auch in Belgien gab es eine breite Untergrundbewegung, die Dokumente fälschte, Radiogeräte verbarg, Deportationen behinderte und streikende Arbeiter*innen unterstützte. All diese Beispiele zeigen: Überall in Europa gab es Menschen, die trotz Repression, Angst und Gewalt die Würde und Freiheit des Menschen verteidigten – mit Worten, mit Taten, mit Mut.

Die Kraft des zivilen Widerstands

Gerade am 8. Mai wird deutlich, wie wichtig es ist, diese Geschichten des Widerstands lebendig zu halten. In einer Zeit, in der autoritäre Tendenzen, Antisemitismus und Nationalismus in Europa und weltweit wieder erschreckend an Boden gewinnen, darf das kollektive Gedächtnis nicht verblassen. Die Taten der norwegischen Lehrer*innen, der streikenden niederländischen Arbeiter*innen oder der dänischen Bevölkerung, die ihre jüdischen Mitbürger*innen retteten, sind nicht nur historische Episoden, sondern dringliche Mahnungen an unsere Gegenwart. Ihre Entschlossenheit zeigt, dass Demokratie, Menschenrechte und Würde nur durch aktives Handeln verteidigt werden können. Der 8. Mai sollte daher nicht als bloßes historisches Datum verstanden werden, sondern als Aufruf, die Erinnerung an diese Akte des Widerstands wachzuhalten – in Bildung, Politik und Gesellschaft – und sich auch heute mit Mut und Solidarität gegen Unrecht zu stellen. Denn wer die kollektive Geschichtsschreibung vergisst, überlässt sie denen, die sie verdrehen wollen.

 

Neugierig geworden? Mehr Infos gibt es hier:

Niederlande: Zinn Education Project: Teaching People`s History

Dänemark: A Force more Powerful – Dokumentarfilm (die ersten Folgen gibt es bereits mit deutschen Untertiteln)

Norwegen: Globale Datenbank gewaltfreier Aktionen