Trainings mit ukrainischer Zivilgesellschaft

15.10.2016

Trainings mit ukrainischer Zivilgesellschaft

Der gesellschaftliche Konsens der Ablehnung politischer Gewalt scheint nicht mehr zu gelten: Die Gewalterfahrungen auf den Maidan-Demonstrationen, die scheinbar widerstandslose Aufgabe der Krim und der Ausbruch des Krieges haben den Menschen in der Ukraine das Vertrauen in die Gewaltfreiheit genommen. Dies betrifft auch die zehntausende Menschen, die sich im Laufe der Proteste des letzten Jahres politisiert und neu organisiert haben und frischen Wind in alle Ebenen und Ecken der ukrainischen Politik bringen. Obwohl sie mit ihrem lokalen gewaltfreien Handeln durchaus Erfolge erzielen, fühlen sie sich angesichts der brutalen Gewalt des Krieges oft machtlos.

Mit Unterstützung des Auswärtigen Amts hat daher die KURVE Wustrow den BSV, das belarussische Rechtsschutznetzwerk „Nasch Dom“ und vier ukrainische Partner aus Lwiw (Lemberg), Lugansk, Kiew und der Krim zusammengebracht, um diese neuen BürgerInnen-Initiativen darin zu stärken, die Interessen der Bevölkerung gewaltfrei zu vertreten. Von ukrainischer Seite koordinierte das „Westukrainian Resource Centre“ (http://zurc.org/) das Projekt.

Vom 1.9.-31.12.2014 lief dieses vom Auswärtigen Amt geförderte Projekt „ORGANIZE - Citizen Power in der Ukraine“. Im Rahmen des Projektes organisierten und gestalteten die ProjektpartnerInnen ein Training zu Organizing und Gewaltfreier Aktion in der Ukraine. Die 40 TeilnehmerInnen konnten nach dem Training Miniprojekte beantragen, die im Rahmen des AA-Projektes bezuschusst wurden, und ihre eigenen Kampagnen durchführen. Zudem sollte eine Studie zu gewaltfreien Aktionsformen erstellt werden.

Christine Schweitzer nahm am Vorbereitungstreffen vom 7.-10. September 2014 in Kiew teil.

Vom 6.-12.10.2014 fand das Training für gewaltfreie Initiativen in der Ukraine statt, an dem Sarah Roßa als Trainerin beteiligt war.  

Schwerpunkt des BSV war die Mitarbeit von Sarah Roßa im TrainerInnen-Team des Großtrainings für etwa 40 Initiativen. Zwei Drittel der Teilnehmenden kamen aus den Krisengebieten Krim, Donezk und Lugansk oder waren Geflüchtete, fünf kamen aus Belarus und der Rest aus der Westukraine. Schwerpunkte des siebentägigen Trainings in Lwiw waren die Entwicklung gewaltfreier Strategien und die Planung entsprechender Kampagnen, theoretisch, aber vor allem auch praktisch die Planung von Mini-Kampagnen, die die Teilnehmenden nach ihrer Rückkehr bis zum Jahresende durchführen wollten. Ein Tag des Trainings widmete sich dem Umgang mit Gewalt und politischer Repression und wie sich AktivistInnen davor schützen können.

Beim Training galt es nicht nur die regionale Ost-West-Trennung zu überwinden, auch unterschiedliche Altersgruppen (19-65 Jahre) und große Unterschiede im Erfahrungsgrad der Teilnehmenden und der TrainerInnen sowie unterschiedliche Aktionsansätze kamen zusammen: KünstlerInnen, RechtsschützerInnen, gewaltfreie AktivistInnen und solche, die das Recht auf Waffen zur Selbstverteidigung forderten, Graswurzel-Aktive und NGO-Menschen. Einige Teilnehmende waren aus den umkämpften oder besetzten Gebieten geflohen und leben nun unter schwierigen Umständen in neuen Umgebungen, andere – wie viele Krim-Tataren – leben unter russischer Besatzung und täglicher Repression. Die Menschen in der Westukraine erfahren den Krieg dagegen eher aus indirekten Berichten und erleben, wie sich ihr Stadtbild durch Spendenboxen für die Armee, Fotos der Gefallenen am Rathaus und die allgegenwärtigen ukrainischen Fahnen verändert. Trotz der Vielfalt: Teilnehmende, die sich zum Anti-Maidan bzw. den SeparatistInnen in der Ostukraine zählen, waren im Training nicht vertreten. Der hierfür vorgesehene Partner aus Donezk war bereits vor einigen Monaten nach Russland geflohen und traute sich nicht mehr, in die Ukraine zu reisen.

Die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe führten mitunter zu sehr hitzigen Diskussionen; im Rahmen des Seminars arbeiteten alle Teilnehmenden und TrainerInnen aber konstruktiv und offen miteinander. Dieser Aspekt des gegenseitigen Kennenlernens wurde von den Teilnehmenden am Ende des Seminars sehr positiv bewertet, ebenso auch die gemeinsam erarbeiteten Inhalte. Besonders die Instrumente für Konfliktanalyse und Kampagnenplanung wurden von Teilnehmenden als sehr neu, teilweise hilfreich, aber auch herausfordernd bis überfordernd bewertet. Am Nachbereitungs- und Planungstreffen für ein neues Projekt (ab April 2015) in Kiew nahm Sarah Roßa im Dezember 2014 teil (siehe auch Artikel im BSV-Rundbrief 3-4/14.).

Ein Folgeantrag für 2015

Materialien

Zu dem Konflikt in und um die Ukraine hat der BSV zwei Hintergrundinfos verfasst: Eines zur Geschichte der Ukraine und eines mit dem Titel "Gemeinsames Haus Europa?", das sich mit dem aktuellen Konflikt befasst. Vom Juni 2015 stammt ein Papier zur Einschätzung der Politik Russlands, das BSV-Geschäftsführerin Christine Schweitzer zusammen mit Reiner Braun von der IALANA geschrieben hat.

Außerdem gehört der BSV zu den MitunterzeichnerInnen des Berliner Appells "Die Spirale der Gewalt beenden" (2015) und des Aufrufs "Neue Entspannungspolitik jetzt".
Die Spannungen zwischen Russland und den NATO-Staaten nehmen nicht ab. In Reaktion darauf wurde ein Aufruf mit dem Titel "Die Spirale der Gewalt beenden - für eine neue Friedens- und Entspannungspolitik jetzt" entwickelt. Auch Aktive aus dem BSV waren daran beteiligt. Es gibt jetzt eine Website zu der Initiative. Er findet sich hier: http://neue-entspannungspolitik.berlin/de/aufruf/ mit der Möglichkeit, den Aufruf zu unterzeichnen.